Direkte Demokratie leidet an unfairem Staatsverhalten: Beispiel Bürgerentscheid Ochsenkopfwiese

Direkte Demokratie leidet an unfairem Staatsverhalten:

Beispiel Bürgerentscheid Ochsenkopfwiese in Heidelberg

Einen Bürgerentscheid zu initiieren erfordert langen Atem, Engagement, finanzielle und organisatorische Ressourcen einer sehr aktiven Gruppe von Bürger*innen. Alleine schon der „normale“ Geschäftsgang eines solchen Verfahrens stellt eine sehr große Herausforderung dar. Wenn dann noch von der Gegenseite, also der Heidelberger Stadtverwaltung, strukturell und machtpolitisch begründete bürgerunfreundliche Hürden dazu kommen, ist dies nicht nur ärgerlich sondern auch demokratieschädlich. Auf der Grundlage der Erfahrungen des Bürgerentscheids Ochsenkopfwies  in Heidelberg machen wir im Folgenden einige Vorschläge, welche strukturellen und gesetzlichen Änderungen notwendig sind, um die vorhandene Machtasymmetrie zwischen Bürgerschaft und Staat mindestens zu reduzieren, besser noch zu beseitigen.

Kontext des Bürgerentscheids Ochsenkopfwiese in Heidelberg

Der „Bürgerentscheid Ochsenkopfwiese“ richtete sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats, eine ca. 30.000 qm große Grünfläche als Standort für den Bau eines neuen Straßenbahn- und Busbetriebshofs zu nutzen. Die artenreiche Grünfläche selbst liegt in einer wichtigen Kaltluftschneise und hat einen hohen Naherholungswert für die angrenzenden Wohngebiete. Die kritische Diskussion um das Bauvorhaben begann ca. 2016. Der Gemeinderatsbeschluss erfolgte aber erst Ende Dezember 2018. Die Unterschriftensammlung zur Einleitung des Bürgerentscheids startete am 25.1.2019 und endete am 26.3.2019 sehr erfolgreich mit ca. 13.000 Unterschriften. Der Bürgerentscheid fand dann am 21.7.2019 statt.  Die Abstimmung ergab eine Mehrheit von ca. 57 % gegen die Bebauung. Da aber das Abstimmungsquorum von 20 % der Wahlberechtigten knapp verfehlt wurde, muss nun der Gemeinderat Heidelberg Mitte Oktober 2019 selbst über die Frage, die beim Bürgerentscheid zur Abstimmung stand, befinden. Der Ausgang ist im Moment noch offen.

In der Phase des Bürgerentscheids, ab Anfang 2019,  beteiligten sich bis zu 70 Bürger*innen aktiv im Aktionsbündnis mit über 2.000 ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden. Ca. 23.000 Euro Kosten sind privat finanziert worden.

Strukturelle Probleme und Änderungsvorschläge

1. Die zur Verfügung gestellte Zeit, um Unterschriften für einen Bürgerentscheid zu sammeln, muss verlängert werden: Die vom Gesetz vorgesehene Frist von 3 Monaten, um die für die Einleitung des Bürgerentscheids notwendigen Unterschriften zu sammeln (in diesem Fall mindestens ca. 8.000 Unterschriften) verkürzte sich durch die Weihnachtsferienzeit und durch sich hinziehende Vorgespräche mit der Heidelberger Stadtverwaltung auf ca. 2 Monate. Die dreimonatige Einreichungsfrist sollte deshalb erst nach der abschließenden, rechtssicheren Formulierung der Abstimmungsfrage beginnen und nicht schon ab dem Zeitpunkt des Gemeinderatsbeschlusses. Da Bürgerentscheide in der Regel durch „nichtprofessionelle“ Bürgergruppen initiiert werden, müssen deren Handlungsbedingungen respektiert werden und deshalb muss mindestens der zeitliche Spielraum weiter gefasst werden.

2. Unglückselige Doppelrolle der Stadtverwaltung muss beseitigt werden: Die städtische Verwaltung spielt bei kommunalen Bürgerentscheiden in der Regel eine doppelte Rolle: Sie ist einerseits „Interessenspartei“, weil sie einen gefassten Gemeinderatsbeschluss aktiv im Bürgerentscheidverfahren vertreten muss. Die Verwaltung muss aber auch als unterste Ebene des Rechtsstaates darauf achten, dass nicht nur alles nach Gesetz und Ordnung verläuft, sondern auch das praktische Verhalten der „Konfliktparteien“ von demokratischer Fairness geprägt ist.  Beide Funktionen der Stadtverwaltung passen in vielen Situationen nicht unbedingt zusammen und sollten deshalb künftig strikt getrennt sein.  Hilfreich wäre ein unabhängiges „Ombudsystem“ sowie ein „Konsultationsausschuss/Schlichtungsausschuss “, um ein faires Verfahren zu garantieren.

Ein Schlichtungsausschuss wäre beim Bürgerentscheid Ochsenkopfwiese mehrfach notwendig gewesen. Bspw. verbreiteten die rnv unbewiesene Unterstellungen auf Plakaten:  „Klimafreundlichen Nahverkehr verhindern – NEIN beim Bürgerentscheid am 21.7.2019“. Das impliziert die Unterstellung, wer mit JA stimme, wäre gegen einen klimafreundlichen Nahverkehr.  Oder die Stadt Heidelberg behauptete, das Bündnis ignoriere Informationen der Stadt Heidelberg und suche auch nicht das Gespräch. Das Gegenteil ist richtig.  Solche öffentliche und diffamierende Behauptungen sind nicht nur respektlos gegenüber aktiven Bürger*innen. Sie beschädigen auch das Vertrauen in Stadtverwaltung und Politik und haben wenig mit einem fairen Meinungswettstreit zu tun.

3. David gegen Goliath: Chancengleichheit für Bürgergruppen muss hergestellt werden. Zwischen dem Bündnis Bürgerentscheid, der Heidelberger Stadtverwaltung und rnv bestand und besteht eine demokratieschädliche Asymmetrie, was die Ressourcenausstattung (Personal, Finanzen, Öffentlichkeitsmedien…) und was die Deutungshoheit im Meinungskampf betrifft. Das drückte sich alleine schon in der Mittelausstattung beider Kontrahenten aus.  Siekonnten nicht nur auf zwei professionelle „Apparate“ ihrer Institutionen zurückgreifen.  Sie nutzten alle zur Verfügung stehenden institutionellen medialen Kanäle, um einseitig ihre Positionen öffentlich zu kommunizieren. Der Kostenaufwand für die Öffentlichkeitskampagne von rnv und Stadtverwaltung schätzen Fachleute auf ca. 200.000 Euro ein. Finanziert aus Steuermitteln, bzw. Budgets des Verkehrsunternehmens rnv.

Der Stadt Heidelberg wäre es freigestellt gewesen, nicht nur die gesetzlich vorgeschriebene demokratische „Mindestpflicht“ zur erfüllen. Sie hätte sich durch Selbstbeschränkung in der städtischen Propaganda und durch großzügige Unterstützung der Bürgergruppe für mehr Fairness im Verfahren sorgen können. Diese Größe fehlt aber der Heidelberger Stadtverwaltung, die sonst sehr bemüht den Eindruck vermitteln will, in Heidelberg herrsche eine gut entwickelte Bürgerbeteiligungskultur.

Die Initiator*innen eines Bürgerentscheids nutzen eine gesetzlich zulässige Form der direkten demokratischen Entscheidung. Da es um eine „JA/NEIN“-Entscheidung geht, müssten den Protagonist*innen beider Pole die gleichen staatlich finanzierten Mittel und medialen Kanäle zur Verfügung stehen, um die jeweiligen Argumente öffentlich gleichwertig verbreiten zu können. Das Bündnis Bürgerentscheid hatte aber weder Zugang zu diesen staatlichen Informationsmedien, abgesehen von der gesetzlich vorgeschriebenen Grundinformation im Amtsblatt der Stadt Heidelberg. Dieses gesetzlich verbriefte Informationsrecht des Bündnisses konnte aber auch erst nach Intervention des Regierungspräsidiums im vollen Umfang durchgesetzt werden. Noch standen der Bürgergruppe die Mittel zur Verfügung, die rnv und Stadt Heidelberg einsetzten.

Sinnvoll ist natürlich die Deckelung der Budgets beider Seiten in gleicher Höhe. Damit wäre auch die ärgerliche, überbordene und teure Propagandakampagne von rnv und Stadt Heidelberg auf Kosten von Steuerzahler*innen zu vermeiden gewesen. Zu klären ist u.a. auch die kostenlose Nutzung von städtischen Infrastrukturen: Räume, öffentliche Räume, Gebührenfreiheit bei Versammlungen im öffentlichen Raum, kostenlose und gleichberechtigte Nutzung städtischer Informationsmedien…. Die staatliche Finanzierung der Kosten eines Bürgerentscheids sollte für Bürgergruppen ab dem Moment rückwirkend gelten, wenn die notwendigen Unterschriften zur Einleitung eines Bürgerentscheids vorliegen. In diesem Falle werden gedeckelte Kosten der Phase der Unterschriftensammlung erstattet. Wird das Unterschriftenquorum verfehlt, bleiben die Initiator*innen auf diesen Kosten „sitzen“. Das verhindert unverantwortlichen Umgang mit Bürgerentscheiden.

4. Freier, ungefilterter und kostenloser  Zugang zu allen städtischen Informationen, die zur öffentlichen Diskussion des Sachthemas beim Bürgerentscheid notwendig sind.  Die öffentliche Debatte lebt von Sachinformationen. Die städtischen Fachämter haben naturgemäß ein Monopol auf Informationen, die einem Gemeinderatsbeschluss zu Grunde liegen.  In Beschlussvorlagen für den Gemeinderat steht aber häufig nur das komprimierte Ergebnis eines Abwägungsprozesses, ohne dass im Detail der Weg dorthin umfänglich nachvollziehbar ist. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass bei einem erfolgreich eingeleiteten Antrag auf einen Bürgerentscheid den Initiator*innen unverzüglich sämtliche Entscheidungsinformationen der Stadtverwaltung und der sonst noch damit befassten Institutionen vorgelegt werden. Nur so kann eine transparente öffentliche Debatte mit Sachargumenten eröffnet und geführt werden. All dies war beim „Bürgerentscheid Ochsenkopfwiese“ nicht, bzw. nur sehr unzureichend der Fall. Die Verwaltung mauerte, wo sie nur konnte.

Das Recht auf freien Informationszugang ist bereits grundsätzlich im Landesinformationsfreiheitsgesetz geregelt. Es muss für Bürgerentscheide konkretisiert werden: Unverzüglicher, kostenloser Zugang zu sämtlichen Informationen, die bei der städtischen Verwaltung und mit ihr kooperierenden Institutionen vorliegen. Umfängliche, kurzfristige Auskunftspflicht gegenüber den Initiator*innen eines Bürgerentscheids.

Alle oben genannten Mängel müssen rechtlich neu geregelt werden

Notwendig ist eine modifizierte gesetzliche Regelung auf Landesebene. Auf örtlicher Ebene muss eine neue „Gemeindesatzung Bürgerentscheid“ geschaffen werden.

Details und weitere Informationen: Übersicht_Kritikpunkte_Durchf_Bürgerentscheid_20190814

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